Datenpolitik #9: Digitalzwang und Transparenzflexibilität

Vielleicht wird das Internet doch nicht dümmer. Gerade als man sich an die Vorstellung gewöhnt hatte, dass künftigen KI Generationen das Trainingsmaterial ausgehen könnte, dass der Höherpunkt des Hypers überschritten sein könnte und dass der Anfang vom Ende der großen LLMs gekommen sein könnte, legt Open AI mit 4o noch mal ordentlich nach. „It‘s time to believe the AI Hype“, titelte Wired prompt.

KI -Beutezüge

Die Argumente neben 4o: Google und X legen mit neuen Modellen nach, Milliardeninvestments treiben die Rechenpower weiter in ungeahnte Höhen und Modelle werden tatsächlich nach wie vor laufend besser.

Die KI Riesen kaufen indessen munter weiter Lizenzen ein. Ein eigener Tracker des Tow Center for Digial Journalism führt Buch über abgeschlossene und aktuell diskutierte Deals. Open AI soll die meisten Deals abgeschlossen und mit Abstand am meisten in künftige Inhaltslizenzen investiert haben. Die Rede ist von knapp 300 Millionen Dollar.

Trotzdem ist entgegenzuhalten, dass sich einige early adopter schon wieder enttäuscht abwenden, konkrete generative Tasks nach wie vor zu nur mittelmäßigen Ergebnissen führen und die großen Modelle dort, wo Präzision gefragt ist, nach wie vor unkontrollierbar sind.

Konkrete Modelle mit konkreten Aufgaben, in denen konkrete Vorgaben abzuarbeiten sind, nehmen dagegen Fahrt auf. Die Wiederwahlkampagne von Modi in Indien setzt gezielt auf KI und bereitet, wie zuletzt mehrfach zu lesen war, in großem Stil Deep Fakes von Modi-Proponenten vor, die potenziellen Wählern vorgaukeln sollen, im persönlichen Online-Gespräch mit den Politikern zu sein oder zumindest persönliche Video-Botschaften von ihnen zu bekommen. Der Telefonianbieter Pindrop konterte mit einer Deep Fake-Garantie. Über das Netz von Pindrop geführte Gespräche sollen eine KI Prüfung unterzogen werden, sollten dabei manipulierte Gesprächspartner nicht enttarnt werden, will Pindrop mit einer Garantie von bis zu einer Million Dollar für eventuelle Schäden geradestehen.

Politische Werbung: intransparent bei Google

Mögliche Manipulationen im Superwahljahr bleiben das heiße Datenthema dieser Monate. Crowdtangle – ich habe das letzte Woche erwähnt, dass dieses sehr nützliche Tool leider eingestellt wird – bleibt nur auf Druck der EU mindestens mit nach der EU Wahl online.

Liberties.eu warnt nun vor mangelnder TRansparenz bei Google Ads. Google komme seiner Verpfllichtung zur Kennzeichnung politischer Werbung nicht ausreichend nach. Die Civil Liberties Union listet einige Punkte in einem offenen Beschwerdebrief an Google und die EU Kommission auf. Wesentliche Kritik: In der Auffassung von Google wären Inserate nur dann als politisch zu kennzeichnen, wenn sie ausdrücklich einen Kandidaten, eine Partei oder eine Wahl oder Abstimmung bewerben. Programmorientierte Werbung, Themenkampagnen oder politische Agitation von Stiftungen und anderen Geldgebern bleiben damit außen vor.

Weiterer Kritikpunkt: Ausgerechnet das Verzeichnis politischer Werbung des Suchmaschinengiganten sei nicht vernünftig durchsuchbar.

Who Targets Me?

Facebook ist mittlerweile in dieser Hinsicht um einiges transparenter. Datenschnittstellen erlauben es, weitgehend Einsicht in das Targeting erhalten politischer Akteure zu nehmen. Die systematische Auswertung ist hier aber auch nur dann möglich, wenn User ihre persönlichen Daten den Auswertenden zur Verfügung stellen. Das leistet etwa die Browsererweiterung Who targets me, die User selbst über in sie investiertes Werbegeld informiert und diese Informationen über Schnittstellen zugänglich macht.

Die Datenqualität bleibt auch hier von der freiwilligen Deklaration der Werbetreibenden abhängig. Meta promotet zwar eine KI, die politische Werbung unabhängig von ihrer Kennzeichnung identifizieren können soll, ein Reportvon AI Forensics kam allerdings zu dem Ergebnis, dass die Trefferquote dieser KI bei nur etwa fünf Prozent liegt.

Trotzdem sind die Ergebnisse von Who Targets Me wertvoll, weil sie einen Teil der politischen Werbeausgaben offenlegen – und mit ihren Lücken auch Hinweise darauf geben, wo weitere Recherchen zur politischen Werbung ergiebig sein könnten.

Aktuell sind Daten von 95000 Werbetreibenden in 49 Ländern verfügbar. Auch für Österreich gibt es Daten, die recht deutlich die höchsten Ausgaben bei ÖVP und FPÖ zeigen. Aktuell hat die ÖVP in den letzten 30 Tagen über 100.000 € für Werbung auf Meta ausgegeben, das sind über 30% der Ausgaben aus Österreich. Beide, Schwarz und Blau, haben auch ihre Ausgaben in den letzten Tagen – zwei Wochen vor der EU-Wahl – deutlich erhöht.

Über die vergangenen drei Monate liegt die FPÖ vorne, die ÖVP, offenbar Spätzünder in Sachen Onlinewerbung, hat allerdings kräftig aufgeholt. Mehr Daten dazu gibt es direkt bei Who Targets Me.

Internetfreiheit, aber anders

Politische Überwachungs- und Kontrollphantasien vor der Tür und sorgen bislang für verhältnismäßig wenig Aufregung. Umso mehr horcht man auf, wenn Parteien die Themen Internet und Freiheit kampagnisieren. Hinter der jüngsten SPÖ-Kampagne zur Internetfreiheit verbirgt sich allerdings etwas gang anderes – nämlich eine echte SPÖ-Kampagne, also politische Agitation für gänzlich aus der Zeit gefallene und in großem Stil zukunftsvergessene Inhalte. Unter dem Begriff Internetfreiheit beschäftigt sich die Sozialdemokratie nicht etwa mit Themen wie Überwachungs- und Kontrollfreiheit oder Netzneutralität, sondern mit der Forderung nach einem Recht auf ein Leben ohne Internet. Es soll immer auch Alternativen und Optionen zu digitalisierten Abläufen geben, niemand soll gezwungen werden, das Internet zu nutzen.

Das ist eine Meisterleistung in der schönen sozialdemokratischen Tradition der Erfindung von Problemen, die man dann noch dazu nicht einmal ansatzweise löst.

Auch schlechte Ideen kommen selten allein. Auch in Deutschland wird gegen Digitalzwang kampagnisiert, ein Recht auf „Leben ohne Digitalzwang“ möge sogar im Grundgesetz verankert werden. Immerhin bemühen sich hier die Betreiber aber um brauchbare und anwendbare Definitionen.

About

Ich bin Journalist, Wissenschafts- und Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Informatiker und Datenanalyst. Aktuell analysiere und begleite ich die Digital Subscriptions der Kronen Zeitung.

Davor war ich zehn Jahre Chronikreporter, zehn Jahre Projektleiter und Digitalexperte in Banken, Telekomunternehmen und Verlagen und zehn Jahre selbstständiger Medienproduzent.