Das Durchhänger-Problem

Viele User bringen wenig, wenige User bringen viel, und dazwischen herrscht Ratlosigkeit. Beide Endpole sind grundsätzlich gut, aber auf dem Weg vom einen Ende zum anderen verwandeln sich hoffnungsvolle potenzielle Neukunden in verlorene Sorgenkinder. 

Publishing, eCommerce, politische Netzwerke – die Abläufe sind oft gleich. Erstkontakte sind neugierig, schließen manchmal auch spontan den erwünschten Kauf ab (oder leisten andere Formen der Unterstützung). Dann passiert lange nichts. Und auf der anderen Seite sind es Interessenten, mit denen man schon seit einem Jahr oder länger in Kontakt ist, von denen wieder Käufe oder andere erwünschte Aktionen erhofft werden können. Dazwischen findet unkontrollierbares Verhalten statt, was vielversprechend begann, verläuft im Sand. Gelegenheitsbesucher bleiben skeptisch. Und auch der Abschluss nach einem Jahr macht keineswegs immer alle glücklich: Wer ein Jahr oder länger ohne Kauf ausgekommen ist, kann auch leicht wieder in diesen Zustand zurückfallen. 

Viele Digitalpublisher wissen: Es gibt, abhängig von der Dauer der Leserbeziehung, zwei Peaks im Aboverhalten: Den ersten gibt es gleich am ersten Tag, manche User kaufen sofort. Den zweiten gibt es erst nach langer Zeit, oft erst nach über einem Jahr. Dazwischen gibt es schwer zuordenbares Verhalten, Aboabschlüsse sind eher auf mehr oder weniger zufällig starke Anreize zurückzuführen als auf Gewohnheiten der User. 

Das ist ein Problem. Denn die Impulskäufer verschwinden oft schnell wieder. Kündigungsraten von 30 Prozent und mehr unmittelbar nach der Bestellung sind keine Seltenheit. Auch die Käufer nach einem Jahr sind oft keine begeisterten Kunden, um die man sich nicht mehr kümmern muss. Wer ein Jahr ohne Abo ausgekommen ist, hat bedenkliche Lesegewohnheiten entwickelt. 

Wo sind die User, die ein Medium kennengelernt haben, es öfter nützen, es gerne nützen und nicht mehr darauf verzichten möchten? 

Ob wir sie finden hängt davon ab, ob wir die Problemkinder in der Durchhänger-Phase sich selbst überlassen, oder ob wir ihnen sinnvolle Perspektiven bieten können, ob es also eine erwartete User Journey gibt, entlang derer sie sich bewegen sollten. 

  • Eindimensionale Ziele sind dabei schlecht steuerbar. Wenn nur eine Kennzahl (oder Handlung) im Vordergrund steht (also beispielsweise der Aboabschluss), wird der Weg dorthin zu wenig beachtet. 
  • Mehrschichtige Ziele lassen Usern mehr Optionen und bieten mehr Spielraum für Steuerung. Sie liefern auch Daten, um die ursprüngliche Zielsetzung zu überprüfen und anzupassen, wenn das notwendig sein wird. 
  • Mehrschichtige Ziele, zu denen unterschiedliche Stufen und Abzweigungsmöglichkeiten führen, bieten auch die Chance, zu erkennen, so User abbiegen. Wo folgen sie nicht dem angestrebten Weg? Wo kommen sie vielleicht von Anfang an gar nicht auf die richtige Fährte? 
  • Und die konkretere Planung, die konkretere Analyse erlaubt und das Userverhalten greifbarer macht, liefert Material für neue Produkt- und Formatideen, die  nicht auf der Hand liegen. 

Alles einfach also? Leider braucht das Zeit. User Journeys entstehen nicht von selbst. Und wenn sie einmal stehen, und wenn sie vielleicht auch noch A/B-Tests unterzogen werden sollen, braucht es noch mehr Zeit, um Ergebnisse validieren zu können. Das kann der am härtesten durchzustreitende Teil sein.