Datenpolitik #13: Wer will denn schon teilen?

Ursula von der Leyen macht also noch fünf Jahre die EU Kommissionspräsidentin. Das gemütliche an EU-Politjobs ist: Es gibt keine vorgezogenen Neuwahlen, die fünf Jahre sind fix. Und langsam mahlende Mühlen erzeugen langfristige Pläne, in denen man sich gemütlich einrichten kann.

Von von der Leyen kamen denn auch sofort zwei digitalpolitische Ankündigungen, die nahtlos am bisherigen anknüpfen. Europa werde einen KI Forschungsrat einrichten, ähnlich wie die Kernenergieforschungs-Organisation des CERN. Und Europa werde die European Dataspaces weiter ausbauen und damit Grundlagen für Datenaustausch und Datenwirtschaft und damit florierende Digitalentwicklung schaffen.

Zum ersten Punkt ist zu bemerken: Etwa zeitgleich kündigte Yann Le Cunn, KI-Vordenker bei Meta, den Anfang vom Ende der Meta-KIs in Europa an. Das neueste Llama-Generative AI-Modell, einer der Konkurrenten für Open AI, werde  vorerst nicht in Europa ausgerollt. Grund sei das unvorhersehbare regulatorische Umfeld in Europa. So schnell wird aus der angestrebten Rechtssicherheit ein Problem mit Nachteilen für Europa.

Dataspaces, der zweite Punkt, wirken auf Datenpraktiker immer wie das Sommerprojekt eines Pfadfinder- oder Jungscharlagers zukünftiger Wirtschaftsprüferanwärter. Die Idee, Daten zugänglicher machen und mit anderen zu teilen, damit nachher alle mehr davon haben, das klingt gut, vernünftig und lobenswert.

Dall E, zeichne Ursula von der Leyen, wie sie ihren Mantel wie der heilige Martin mit einem armen Dataspace-Bettler teilt.

Aber wer will schon teilen?

Warum sollten die Kleinen, also die Europäer, ihre Daten teilen, solange die Großen, also Amerikaner und Chinesen, es nicht tun? Wie soll sichergestellt werden, dass deren europäische Subsidiaries nicht Zugriff auf gemeinsame Daten bekommen und diese weiterverarbeiten? Und wäre das nicht genau der Sinn gemeinsamer Daten: sie zu nutzen, damit Dienste (für Europa) verbessert werden können?

Die Vorteile von mehr Daten sind ungleich verteilt. Wer viele Daten hat, für den sind auch kleine Zuwächse eher nützlich – wenn sie Lücken in der Datenbasis schließen, Information ergänzen, in bestehende Modelle integriert werden können. Für Datenanfänger mit kleinen Beständen sind Datenfluten erschlagend und nichtssagend. Fremde Modelle müssen analysiert und reverseengineered werden, um dann mit viel Kleinarbeit nützliche Zusatzinformation zu finden.

Auch die Handlungsspielräume bleiben, selbst denn Chancengleichheit bei Daten erreicht wäre, sehr ungleich. Große können Organisationen auf Daten und Erkenntnisse abstimmen und neue Wege ausprobieren. Kleine können vielleicht schneller ihre Organisation anpassen – aber dann fehlen immer noch Geld und Personal, um in dieser Organisation zu arbeiten.

Datenstrategien: Autonomie und Altruismus

Der ehemalige italienische Ministerpräsident und Wirtschaftswissenschaftler Enrico Letta schreibt in seinem im Auftrag der EU Kommission erstellten Bericht zum europäischen Binnenmarkt, eine faire Datenwirtschaft sei Ziel für Europa und solle, angesichts schlechter geopolitischer Aussichten, dazu beitragen, europäische Autonomie zu sichern. Daten- und Innovationsfreiheit könnten in absehbarer Zeit eine fünfte zentrale Freiheit neben den Freiheiten des Dienstleistungsverkehrs, des Kapitalverkehrs, des Personenverkehrs und des Warenverkehrs werden.

Mit der Vorstellung des Teilens geht immer auch Angst um die eigene Souveränität einher. Die Personenverkehrsfreiheit wurde bei jeder EU-Erweiterung mit Auflagen eingeschränkt; es herrscht die Angst, andere würden unverhältnismäßig mehr profitieren als man selbst.

Was kann nun das Konzept der European Dataspaces, wie soll die schöne Fantasie des Datenaltruismus in geschäftliche Realität übersetzt werden? Die lässt man die Vorstellung hinter sich, Ursula von der Leyen teilt hier wie der heilige Martin ihren Mantel mit einem armen Bettler, der dann aber trotzdem arm und einsam am Straßenrand sitzen bleibt?

Dall E, der Bettler ist kein Kind!

Das Data Spaces Support Center hat ein Dataspaces 101 Starter Kit veröffentlicht. Wie Dataspaces funktionieren sollen, das ist recht klar. Das folgt den Regeln des Produkt- und Projektmanagements: Sie sollen aus Businessanforderungen entstehen, rechtlich in Ordnung sein, in die Organisation passen und klar abgegrenzte Funktionen erfüllen, bevor sie letztlich in Technik gegossen werden. Die EU-Technokraten nennen das BLOFT-Framework (Business-Legal-Operational-Functional-Technical).

Aber wozu?

Auch hier ist der gelernte Technokrat nicht um eine Antwort verlegen und kredenzt schnell eine weitere Systematik. Sogenannte Business Case Patterns sollen Orientierung geben, wie einzelne Dataspaces in punkto Nützlichkeit eingeordnet werden können. Die Systematik könnte aus einem Lehrbuch der Gemeinwohlökonomie stammen (gibt es sowas?), so sehr zielt sie auf Gemeinschaftlichkeit ab. Kosten teilen, gemeinsame Innovation oder gar das Greater Common Good sind einige dieser Patterns.

Als Beispiel für Greater Common Good führt die Systematik Mobility Dataspaces an. Am Mobility Dataspace, der als GmbH organisiert ist, ist die gesamte deutsche Autoindustrie (Mercedes, BMW, Volkswagen) beteiligt. Ich habe leise Zweifel an der überbordenden Gemeinnützigkeit.

Dataspace-Ziele: Für leiwand, gegen O****h

Wie sieht es in der Praxis aus? Der Mobility-Dataspace nennt einige Metaziele wie Optimierung, Effizienz und europäische Unabhängigkeit. Konkrete Projekte sind Datensammlungen über Unfallhäufungen, datenbasierte Preismodelle für Autofahrerversicherungen oder ein Tool, das datenbasiert (und natürlich KI-unterstützt) Vorschläge für effiziente Orte für E-Auto-Ladestationen generiert.

Der European Media Dataspace TEMS ist noch etwas mehr meta in seinen Zielsetzungen. Die About-Seite klärt darüber auf, dass hier Anforderungen und Anwendungen entwickelt werden sollen. Die Ziele-Seite informiert darüber, dass das Ziel des TEMS-Dataspaces die Einrichtung eines sicheren und zuverlässigen Dataspaces ist. Das ist mit Verlaub erwartbar. Die restlichen Ziele sind nicht nur abstrakt, es bleibt auch offen, wie konkret Dataspaces zum Erreichen dieser Ziele beitragen werden.

Dataspaces Realitycheck

Ich bin ein großer Unterstützer der Dataspace-Idee. Ich stehe jedem Daten-Hype besonders kritisch gegenüber, eben weil ich große Wirkkräfte in klug eingesetzten Daten und Analysen sehe. Und ebenso großes Missbrauchspotenzial. Im Auseinanderdriften von managerial-politischen Höhenflügen und den Niederungen von Technik, Anwendung und Nutzen spiegeln sich die Konfliktpotenziale praktisch aller technikorientierten Innovationsprojekte: Etwas ist schneller geplant und gehyped als umgesetzt, und vor allem als getestet und dauerhaft fehlerfrei betrieben.

Der Realitycheck für tatsächlich nützliche (und offene) Dataspaces steht noch aus. Wenn es ihn gibt – hier wird davon zu lesen sein .

About

Ich bin Journalist, Wissenschafts- und Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Informatiker und Datenanalyst. Aktuell analysiere und begleite ich die Digital Subscriptions der Kronen Zeitung.

Davor war ich zehn Jahre Chronikreporter, zehn Jahre Projektleiter und Digitalexperte in Banken, Telekomunternehmen und Verlagen und zehn Jahre selbstständiger Medienproduzent.