Datenpolitik #15: Dicht gesponnene digitale Kontrollnetze

Noch gibt es kein Ergebnis. Der UN Cybercrime Treaty wird diese Woche weiter verhandelt. Es gibt keine Protokolle, keine konkreten Agenden der einzelnen Sitzungen, aber immerhin Livestreams zu zwei Terminen.

Cybercrime Treaty: UN kritisiert UN

Indessen wächst die Kritik. Auch der UN Menschenrechtskommissar bekrittelt den saloppen Umgang mit dem Kriminalitätsbegriff. Der aktuelle Text lasse viele Möglichkeiten offen, unliebsames Kommunikationsverhalten zu kriminalisieren. Es fehlten klare Definitionen der zu verfolgenden Straftatbestände.

Auch die Electronic Frontier Foundation legt noch einmal nach: Der ausufernde Geltungsbereich und die schwammigen Definitionen des Cybercrime Treatys legten den Grundstein zu grenzübergreifenden UN-geförderten Spionage, etwa zur Verfolgung exilierter Dissidenten, wie hier letzte Woche schon zu lesen war. 

Ich weiß nicht, wie dieser Problemlage am besten beizukommen ist und wie sich liberale Demokratien hier gegen globale autoritäre Entwicklungen wehren. Es ist aber kein gutes Zeichen, wenn Diskussionen dazu nur in den Nerd- und Geek-Ecken mancher Medien geführt werden und die Digitalpolitik dazu schweigt. Oder das Thema gar nicht auf dem Radar hat.

Margrethe Vestager ist auf Urlaub, Österreichs DigitalpolitikerInnen verbrachten die letzten Wochen mit Gemeindefeierlichkeiten, Sommerferien oder still.

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DSA Ausschreibung: Digitale Frühwarnsysteme

Europa strickt indessen weiter an eigenen Kontrollinfrastrukturen. Eine aktuelle Ausschreibung ruft zu Angeboten für ein Frühwarnsystem für Verstöße gegen den Digital Services Act auf. Der Digital Services Act soll Gefahren für Demokratie, öffentliche Sicherheit, Grundrechte und Kinder aus dem Weg räumen. Ein Frühwarnsystem soll dabei helfen, diese alles andere als klar umrissenen Tatbestände aufzuspüren

Unter dem Titel möglicher Verstöße gegen den DSA werden derzeit Verfahren gegen so unterschiedliche Plattformen wie Amazon, den chinesischen Shoppingriesen Temu, die Buchungsplattform Booking oder große Porno-Plattformen geprüft. Das ergibt eine recht breite Verdachtslage.  

Überwacht werden sollen, um dieser unklaren Ausgangslage noch eins draufzusetzen, „technologische Entwicklungen und das Auftreten neuer systemischer Risiken“. Dazu gehört beispielsweise auch das Aufspüren von Suchtpotenzialen in Onlineplattformen. Das ist jetzt ein wirklich breites Betätigungsfeld, das vom Psychoquiz bis zur detaillierten Algorithmenanalyse alles umfassen kann. Wer mitbieten möchte: Die Ausschreibung ist online.

DSA-Verfahren betreffen große Plattformen. Und auch Mitgliedsstaaten. Im Juli eröffnete die EU-Kommission eine Reihe von Vertragsverletzungsverfahren. Wegen schleppender Umsetzung des DSA gibt es Ärger für Belgien, Spanien, Kroatien, Luxemburg, Schweden und die Niederlande. Beanstandet werden vor allem Verzögerungen bei der Einrichtung von Digitalkoordinatoren. Mitgliedsstaaten sind ja angehalten, eine Reihe neuer Behörden und Gremien einzurichten. Österreich wird nicht ermahnt; bei der Einführung von Bürokratie waren wir hierzulande nicht säumig.

AI Act: Konsultation zum Verhaltenskodex

Zum DSA gibt es die ersten Verfahren, der EU AI Act zur Regelung von KI trat diese Woche letztlich und endlich in Kraft. Der risikobasierte Ansatz ließ ebenfalls noch einiges an konkretem Interpretationsspielraum offen. Eines dieser offenen Spielfelder soll jetzt durch einen Verhaltenskodex für Anbieter von General Purpose AI geschlossen werden. Die Konsultation läuft jetzt bis 10. September, im April 2025 soll der Kodex vorliegen. Ein zentrales Thema des Kodex sollen auch Richtlinien zur Verwendung und Dokumentation von Trainingsdaten werden. 

Für Anbieter steht die nächste potenzielle Hürde auf dem Spiel. Manchen war die aktuelle Flexibilität des AI Act gerade recht, andere sahen darin potenzielle Rechtsunsicherheiten. Facebook etwa kündigte bereits an, sich mit KI Initiativen zumindest teilweise aus Europa zurückzuziehen.  

Das heißt auch: Für Anwender steht noch mehr auf dem Spiel, nämlich die Frage, ob es auch in Zukunft sinnvolle und mächtige KI für EuropäerInnen geben wird. Die Bürokraten, die in diesen Verhandlungen den KI-Herstellern gegenüberstehen, haben ziemlich große Brocken auf dem Teller.

Dataspaces – Opfer der eigenen Kommunikationsstrategie

Die Datenpolitik-Ausgabe zu Dataspaces von vor zwei Wochen hat für manchen Diskussionsstoff gesorgt. Dataspaces sind kein gemeinnütziges Projekt, haben einige Leser entgegnet. Im Gegenteil, als Projekte einer umfassenden Digitalkultur seien sie ohne Business Case praktisch zum Scheitern verdammt.

Das müsste man nicht mir sagen, kann ich da nur entgegnen, sondern vermutlich eher den Kommunikationsstellen im Dataspaces Support Center. Vielleicht waren sie ja nur angehalten, Vorteile zu kommunizieren – und konnten sich in der Eile nicht auf andere plakative Vorzüge einigen. 

Ich halte Dataspaces und die Idee der europäischen Datenwirtschaft ohnehin für ein zentrales Thema. Hymnen wie diese auf der FAZ kann ich dennoch aktuell noch nicht nachvollziehen.

Aber ich freue mich natürlich ganz besonders auf Angreifbares aus dem European Media Dataspace, der aktuell noch ganz besonders abstrakt, technokratisch und inhaltsleer wirkt.

About

Ich bin Journalist, Wissenschafts- und Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Informatiker und Datenanalyst. Aktuell analysiere und begleite ich die Digital Subscriptions der Kronen Zeitung.

Davor war ich zehn Jahre Chronikreporter, zehn Jahre Projektleiter und Digitalexperte in Banken, Telekomunternehmen und Verlagen und zehn Jahre selbstständiger Medienproduzent.