Datenpolitik #16: Russland will dein Wifi

Was wurde aus der Chatkontrolle? Wo steht der UN Cybercrime Treaty? Die schwarzen Kommunikationslöcher internationaler Politik saugen Informationen auf, und wer wie recherchieren möchte, muss sich tief in die Rabbitholes der Institutionen stürzen. Aber ist das überhaupt noch wichtig?

Digitalgesetz §0815: Auf Terrorpläne folgen Überwachungsforderungen

Ermittler hatten offenbar ausreichend Möglichkeiten, Kommunikation „per Messenger“ potenzieller Terroristen auszulesen. Zwei Männer, die Anschläge auf Taylor Swift-Konzerte in Wien geplant haben sollen, wurden diese Woche verhaftet. Aber die Ermittler hatten keine Möglichkeiten, die aktuelle Sicherheitslage einzuschätzen. Ein möglicher dritter Verdächtiger wurde am Tag vor dem ersten Konzert noch gesucht, die Konzerte wurden abgesagt.

Es waren, muss man dazusagen, nicht die österreichischen Ermittler, die den Terroristen auf die Spur gekommen waren. Es hatte eines Hinweises aus den USA bedurft. Jetzt wäre es natürlich überaus interessant, zu wissen, warum man aus 7000 Kilometern Entfernung besser sieht als aus der Nähe. Lag es an technischen Hilfsmitteln? Lag es an den Rechtsgrundlagen für Überwachung? Oder an der Sachkompetenz des Personals?

Wenn Messenger-Inhalte trotz aller Verschlüsselung so weit entschlüsselt werden, dass ein rechtzeitiger Zugriff möglich ist, brauchen wir dann weitere Möglichkeiten? Wenn es nicht geheime Verabredungen, sondern TikTok-Posts waren, die Ermittler auf die richtige Spur brachten (das ist der aktuelle Wissensstand), brauchen wir dann mehr Überwachung? Wenn – wie auch immer – die vorhandenen Möglichkeiten ausreichen – brauchen wir dann mehr Überwachung?

Dall E, mach Taylor Swift auf einer strahlenden Bühne als IS Terroristin.

Liegt es am Schnüffeln in Chats? Oder an den flächendeckenden Überwachung von Social Networks? Oder etwa doch daran, dass Österreich bunte Gesetze stricken kann, wie es möchte – sie werden den großen Plattformen, die ihren Sitz nicht in greifbarer Nähe haben, egal sein. Andere Nachrichtendienste haben größere Hebel zur Hand. Um so wichtiger werden internationale Kooperationen, umso wichtiger wird, dass diese nach demokratischen Prinzipien ablaufen. Damit sind wir einmal mehr bei der UN Cybercrime Convention und den Kontrollwünschen Russlands.

Nur noch eine Bemerkung: Für jemand, der die Überwachungssituation ist Österreich schon länger beobachtet, kommt dazu: Man ist schon froh, das internationale Geheimdienste überhaupt schon wieder mit den heimischen Behörden reden. Dem Vernehmen nach soll allerdings nicht die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst informiert worden sein, sondern das Militär.

Und selbst der aktuelle Wunsch des Innenministers – er möchte bei konkreten Verdachtsfällen Trojanersoftware auf Smartphones und Computern installieren dürfen – ist ohne weitreichende Überwachung vorab recht aussichtslos. Und würde einmal mehr Daten österreichischer Bürger Softwareunternehmen ausliefern, die ihren Sitz nicht in Österreich haben und schwer zu kontrollieren sind. Oder man liefert sich gleich anderen zwielichtigen Security-Blendern aus. Erinnert sich noch jemand an Subzero und DSIRF?

Russland und Cybercrime: Menschenrechte sind ein Faux-Pas

Chatkontrolle liegt in der EU auf Eis, der UN Cybercrime Treaty, der noch weitreichender Kontrollmechanismen ermöglichen soll, wurde vergangene Woche in New York weiterverhandelt. Protokolle gibt es noch nicht, aber zahlreiche Eingaben Russlands.

Russland beklagt sich über Behinderungen durch die USA wegen spät ausgestellter Visa. Russland kündigt an, jegliche Veränderung pauschal zu boykottieren – mit dem Vorwand, zwei wichtigen russischen Delegationsmitgliedern sei die Einreise verweigert worden, weshalb das ganze Komitee nicht beschlussfähig sei. Russland bezeichnet das Beharren auf Menschenrechten als Fauxpas und Meinungs- und Versammlungsfreiheit als fragwürdig. Russland unterstellt, dass dort, wo auf Menschenrechten beharrt wird, auch Pädophilie verharmlost wird und Hitler verherrlicht wird. Auf Menschenrechten zu beharren sei ein Versuch, der Verpflichtung zur Bekämpfung von Digitalverbrechen auszuweichen.

Russland führt Ägypten, Syrien und Venezuela als Vorbilder im Handling digitaler Bürgerrechte an. Russland macht deutlich, was im Zentrum der neuen Kontrollbestrebungen steht, indem es den Vorschlag von Costa Rica, politische Verbrechen auszunehme, als kategorisch unzulässig bezeichnet. Die „Übersättigung“ der Übereinkunft mit Menschenrechten sei ein Dealbreaker.

Russland stellt die universelle Definierbarkeit von Freiheit und Menschenrechten infrage. Freiheit dürfe, Russland unterstützt hier Pakistan, kein Vorwand zur Schwächung moralischer Standards sein. Russland möchte den Begriff der verantwortlichen Diensteanbieter derart ausweiten, dass sogar Internetcafébetreiber oder Hotels mit WLAN für über ihre Infrastruktur begangene Verbrechen haftbar gemacht werden können. Nimmt man die Forderung beim Wort, wäre es bereits ein Verbrechen, sein WLAN-Passwort mit einem Dissidenten zu teilen.

Gemeinsam mit China und Nigeria fordert Russland die Streichung definierter Straftatbestände – die Regelung sollte auch auf zukünftige und noch zu definierende Tatbestände und Technologien angewendet werden können. Die Regulierung solle auch zur Prävention und Abschreckung eingesetzt werden können.

Die Konvention solle auch nur von 30 (statt geplant 60) Staaten akzeptiert werden müssen, um Gültigkeit zu erlangen.

Was sagen die anderen?

Angola bezeichnet die Verweise auf Menschenrechte als redundant.

Mexiko unterstützt die Notwendigkeit von 60 Unterzeichnern und beharrt auf der Betonung von Menschenrechten.

Paraguay schlägt Aufwandsentschädigungen für Staaten vor der Rückgabe von beschlagnahmtem Eigentum vor.

Andere Staaten haben keine Eingaben vorgebracht, von den Einwänden der Zivilgesellschaft war hier schon zu lesen Datenpolitik #14: Autoritäre Cybercrime-PanikMichael Hafner·26. Juli

Datenpolitik #14: Autoritäre Cybercrime-Panik

Jedes Mal, wenn es wichtig gewesen wäre, haben die Vereinten Nationen (oder deren Vorläufer, der Völkerbund) auf ganzer Linie versagt. Haile Selassie redete sich nach den italienischen Giftgasangriffen in Äthiopien den Mund fusselig. Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kongo konnte sich niemand aufraffen, die ehemalige Kolonialmacht Belgien zur Ordnun…Read full story

Auch Microsoft mahnt zur einer genauen Eingrenzung der Cybercrime-Vereinbarung und fordert die Streichung der Echtzeit-Überwachung und Vorratsdatenspeicherung.

Wir sollten uns nicht mit Überwachungswünschen anfreunden

Die große Gefahr dieser unsauber geführten Debatten liegt in der Normalisierung von Überwachung und Kontrolle. Drogen, Pädophilie, politischer Extremismus werden gleichgesetzt und als Gründe ins Feld geführt, um dann auch unliebsame politische Äußerungen verfolgen zu können.

Wohlmeinende Idealisten setzen auf Überwachung, um Menschen zum Besseren – ökologisch, moralisch, gesundheitlich – nudgen zu können. Erschreckend ausgedehnte Kontrollphantasien fanden sich dazu in den zum Beispiel in den EU-Wahlprogrammen diverser Parteien. Ich werde gespannt beobachten, welche Pläne dazu die Nationalratswahl ans Tageslicht bringen wird.

Kapitalismuskritiker diffamieren das Beharren auf digitalen Freiheiten und das Eintreten gegen Überwachung als Unterwerfung unter digitale Turbokapitalisten.

Aus vielen Richtungen wächst heute der Druck, gewonnene Freiheiten einzuschränken. Zielstrebige Akteure wie die russische Cybercrime-Delegation finden damit fruchtbaren Boden für ihre Bestrebungen. Die Kompetenz, diese Herausforderungen sachlich zu diskutieren und technische, mediale, wirtschaftliche oder rechtliche Folgen einschätzen oder zumindest Zusammenhänge erkennen zu können, fehlt großteils. Jedenfalls in der kaum vorhanden Digitalpolitik. Und es fehlen Institutionen und Öffentlichkeiten, in denen diese Themen überhaupt sinnvoll diskutiert werden können.

About

Ich bin Journalist, Wissenschafts- und Technologiehistoriker, Comic-Verleger, Informatiker und Datenanalyst. Aktuell analysiere und begleite ich die Digital Subscriptions der Kronen Zeitung.

Davor war ich zehn Jahre Chronikreporter, zehn Jahre Projektleiter und Digitalexperte in Banken, Telekomunternehmen und Verlagen und zehn Jahre selbstständiger Medienproduzent.