Generative AI in Newsrooms: konkrete Anwendungen

Erinnert sich noch jemand an die medialen Auswüchse in den Frühzeiten des Internet? Da war viel technische Faszination, gepaart mit Unwissen. Angst, genährt von Gerüchten, Spekulationen und einzelnen Funden. Zukunftshoffnung, gestützt von überzogenen Erwartungen und leeren Versprechen. Und es gab Absurditäten wie gedruckte Sonderbeilagen zu Magazinen, die die „10.000 besten Links“ des Internet anführten. Die technisch besonders fortschrittlichen Verlage legten sogar noch CD-Roms bei und versprachen dafür gleich „das ganze Internet“.
In einer ähnlichen Phase sind wir heute in Hinblick auf Künstliche Intelligenz. An allen Ecken und Enden ploppen neue ExpertInnen auf, NavigatorInnen durch die technische Zukunft und VisionärInnen radikaler Revolutionen.
Sie wissen, was gerade passiert und sie verstehen, wo es hinführt.

Wie so oft nimmt sich neben diesen schillernden Glanzbildern die graue Gegenwart traurig aus. Dafür aber ist sie umso praktikabler.

Zusammenfassungen und Titelvarianten vorschlagen

Das wurde einmal mehr klar, als vergangene Woche JournalistInnen, RedaktionsmanagerInnen oder InformatikerInnen beim International Journalism Festival in Perugia über konkrete Einsatzzwecke von AI in Newsrooms diskutierten.
Bot-Journalismus, Personaleinsparung, neue Textfüllen? Weit gefehlt. Die Einsatzzwecke für KI sind weit bescheidener.
Felix Simon vom Reuters Institute in Oxford etwa erwähnte Content-Empfehlungen und dynamische Paywalls als Beispiele für KI-Anwendungen. Beides beruht auf sattsam bekannten Recommendation-Engines, die laufend verbessert werden können, die aber auch vor dem aktuellen KI-Hype breit im Einsatz waren. Und beides ist Gegenwart.

Charlie Beckett von der London School of Economics ist mit seinem Polis-Think Tank selbst auf der Suche nach konkreten Anwendungsfällen. Die Journalism AI-Fellowships der LSE richten sich leider nur an kleine Newsrooms – das finde ich schade. Gerade in großen Newsrooms ist es oft umso schwerer, Innovationen durchzusetzen und den langen Atem beizubehalten, weil es ja oft auch einfacher ginge. InnovatorInnen aus großen Newsrooms brauchen Kontakt zur Außenwelt und zu anderen Perspektiven, gerade weil sie in einem großen Umfeld arbeiten, in dem sie oft im eigenen Saft kochen.

Radar News gilt noch immer als bestes Beispiel für den Einsatz von KI zur Erzeugung lokaler Nachrichten. Open Data Repositories sind die Grundlage für lokal ausgerichtete Nachrichtenbeiträge, die KIs anhand klarer Anweisungen erzeugen und aktualisieren. Interessant sind dabei allerdings vor allem die technischen Grundlagen, die erstellten Nachrichten weniger.

Partner beim Ideensammeln

Der allgemeine Tenor: AI kann Texte kürzen oder Titelvarianten vorschlagen, externe Intelligenzen können Gesprächspartner bei der Themenfindung sein, AI kann Texte umformulieren oder vereinfachen – aber AI wird nicht dazu beitragen, neue Themen zu finden. Im Gegenteil. Wo Texte sich nur einen Schritt neben den allgemeinsten Gemeinplätzen bewegen, versagt KI schon bei einfachen Tasks wie Zusammenfassungen. Das führt zu spektakulären Halluzinationen, die kaum mehr nachzuvollziehen sind.

Das habe ich auch an einigen eigenen Texten ausprobiert. Gerade bei Essays, die einen anderen Punkt zu machen versuchen, die eine andere Perspektive einnehmen, wird deutlich, dass KI einige zentrale Schlagworte versteht – und dann genau die Positionen wiederholt und als Zusammenfassung wiedergibt, gegen die der Text eigentlich anschreibt.
Deshalb gilt: KI kann nur für kontrollierbare Tasks eingesetzt werden. KI kann Text und Recherche simulieren – jedes Ergebnis muss aber von einem Menschen mit konventionellen Methoden validiert werden.

Das gilt jetzt aufgrund technischer Mängel. In Zukunft gilt es dann vielleicht aufgrund technischer Perfektion.

Kontrolliertes Kennenlernen

Was heißt das jetzt konkret? Wer neugierig ist, kann natürlich mit Chat GPT experimentieren. Etwas konkreter in der journalistischen Anwendung werden die Notebooks von Nick Diakopoulos aus dessen Generative AI in the Newsroom-Projekt. Diakopoulos sammelt konkrete (und damit oft bescheidene) Anwendungsfälle von KI in der Medienbranche. Wem die Chatbox zum Ausprobieren nicht reicht, der findet in diesen Notebooks gute Einstiegshilfen in die Auseinandersetzung mit KI-Anwendungen.

Auf den ersten Blick wirkt das für weniger technisch Versierte abschreckend. Alle Snippets können aber ohne technisches Knowhow ausgeführt werden und brauchen außer einem Browser keine weiteren Softwarevoraussetzungen – alle benötigten Komponenten werden online ausgeführt.
Die Notebooks enthalten Prompt- und Konfigurationsideen für einige konkrete journalistische Aufgabenstellungen wie Zusammenfassungen, Ideenentwicklung, Auslesen von Daten oder Erstellung von Texten anhand von Daten.
Ich empfehle, die Lösungen öfters und bei alltäglichen realen Aufgabenstellungen einzusetzen, das vermittelt den besten Eindruck davon, wie weit KI sinnvolle Ergebnisse schafft – und wo sie gefährlich halluziniert.

Zwei konkrete Hinweise dazu: Um die Open AI-API ansprechen zu können, wird ein API-Key benötigt. Den gibt es hier (nachdem man einen Account angelegt hat).
Und auch im AI-Playground gibt es nichts gratis. Wer mit einer KI arbeiten will, muss dafür bezahlen. Auch das ist ein Blick in die nahe weitere Digitalisierungszukunft. API-Calls werden Sie allerdings nicht in den Ruin treiben: In den letzten Tagen intensiveren Testens habe ich etwa 50 Cent meines Guthabens verbraucht.
Das – und die Überwindung, sich ein wenig mit Technik auseinanderzusetzen – sollte schon in die eigene Technologie-Neugier investiert werden.