Quantitative Analysen in politischen Debatten – die Wertschöpfungsabgabe

Wie quantifiziert man politische Debatten sinnvoll? Natürlich gibt es dann den einfachen und direkten Weg: Wer redet wann wie lange und wie viel und erzielt damit mehr Reichweite – das wäre der klassische Zugang. In solchen Analysen hätten wir viele Daten, aber wenig Information – wie sich eine Diskussion entwickelt hat, welche Themen mit welchen Argumenten in Stellung gebracht wurden, dazu wüssten wir noch wenig.

Im Rahmen eines anderen Projekts habe ich mich im vergangenen halben Jahr mit der Geschichte der Wertschöpfungsabgabe in Österreich befasst. Diese hatte ihre Blüte in den 80er Jahren, verstummte mit dem Tod ihres geistigen Vaters Alfred Dallinger nahezu vollständig und flammte während der kurzen und glücklosen politischen Karriere von Christian Kern als gespenstischer Wiedergänger noch einmal auf.

Wie kam es zu diesem Aufflammen? War das tatsächlich so unvermittelt, wie es dem politisch distanzierten Beobachter schien? Oder gab es klare Linien, die unter dem Radar zu diesem Punkt führten? Das waren meine Fragestellungen; ich habe nach einem Forschungsansatz gesucht, der Ergebnisse dazu liefert.

Letztlich habe ich knapp 600 Zeitungsartikel aus den letzten 20 Jahren ausgewertet, die entweder den Begriff Wertschöpfungsabgabe oder den Begriff Maschinensteuer verwenden – und das Ergebnis ist schließlich auch eine schöne Analyse der These, Daten und Analysen würden in der Wissenschaft Theorien und Modelle überflüssig machen.

Tatsächlich zeigen die Ergebnisse einige Punkte, die ich nicht erwartet hätte: Die Debatte kreiste um wechselnde Schwerpunkte, mal standen Gerechtigkeitsargumente im Mittelpunkt, mal Finanzierungsfragen, mal ging es mit der Zukunft ums Ganze, dann doch wieder nur um Steuerreform oder Sozialversicherung. Kritik war deutlich häufiger als Zustimmung; Kritiker griffen mit einiger Verzögerung die Themen der Befürworter auf und setzen ihnen ihre eigenen Spins und Argumente auf.

Das sind in der Genauigkeit Ergebnisse, die kaum eine Hypothese so hätte prognostizieren können. Diese Ergebnisse werden erst durch systematische Datenerfassung, Aufbereitung und Visualisierung offenbar. – Aber haben das die Daten allein vollbracht?

Ich bin zumindest mit dem bescheidenen Modell, Zeitungsartikel nach Themen zu kategorisieren, an die Sache herangegangen, und ich habe nach Thema und nach Kritik oder Forderung oder Zustimmung kategorisiert. Ich hatte dabei keine inhaltliche Hypothese – aber zumindest die formale Hypothese, dass es unterschiedliche Themen geben würde und dass sich Inhalte bei unterschiedlicher Grundhaltung (pro oder contra) unterschiedlich entwickeln würden.

Ohne datenanalytischen Ansatz wäre es bei diesem Gefühl oder dieser Vermutung geblieben. Aber hat die quantitative Analyse tatsächlich neue Information in die Untersuchung gebracht? Oder lässt sich mit einer einigermaßen brauchbaren Datenbasis ohnehin jede Vermutung unterstreichen, sofern sie nicht ganz zuwiderläuft?

Das führt in eine vielschichtige Debatte, in der das letzte Wort noch lange nicht gesprochen ist. Für mich scheitern die meisten datenabsolutistischen Ansätze, die Theorien, Hypothesen und Modelle über Bord werfen wollen, an der Hürde, selbst nicht auf Modelle und Hypothesen verzichten zu können – sie nützen Datenmodelle (auch wenn etwa Graph-Datenbanken mit „schema free modeling“ werben – Modelle werden trotzdem erstellt) und sie nähern sich ihren Objekten mit Fragestellungen und Erwartungen. Wie können nicht ohne Hypothesen durchs Leben gehen.

Die Gegenargumente zur datenabsolutistischen Wissenstheorie hat Rob Kitchin in „The Data Revolution“, seinem Grundlagenplan für philosophische Fragestellungen rund um Data Science, ausführlich zusammengefasst.

Und die Wertschöpfungsabgabe? Die Daten führen noch zu einer weiteren Hypothese: Das Thema war durchaus in einigen fachlichen Kreisen und unter Gewerkschaftern präsent; gerade Gewerkschafter orientierten sich auch durchaus an zeitgemäßeren Konzepten. Die SPÖ-Spitze allerdings hatte offenbar keinen Draht zu ExpertInnen in den eigenen Reihen – das Aufgreifen des Themas durch Christian Kern wirkte mehr wie ein Unfall, dessen Auswirkungen durch die explosive mediale Verbreitung (endlich gab es ein griffiges, sogar linkes Thema) noch dramatischer wurden. Statt auf die durchaus vorhandenen sachlichen Themen aufzuspringen, zogen Kern und seine Berater letztlich das 30 Jahre alte Konzept Dallingers aus der Lade und ergänzten es um irgendetwas mit fossilen Brennstoffen …

Insofern war die Zeitleiste der in der Diskussion jeweils dominanten Begriffe durchaus hilfreich – diese Ansicht allein, ohne weitere qualitative und hypothesengesteuerte Recherche, hätte allerdings nicht zu den relevanten Ergebnissen geführt.

Die gesamte Forschung zur Wertschöpfungsabgabe wird in den nächsten Wochen veröffentlicht, wer schon vorher etwas sehen möchte – die Kontaktkanäle sind offen.