Wie eindeutig darfs denn sein?

Man sammelt Daten, überlegt, verwirft und verändert Datenmodelle, entscheidet sich für relevanten Indikatoren und Korrelationen, schreibt einen Prozess und ist gespannt. Dann lässt man die Rechnungen laufen – und mit den ersten Ergebnissen macht sich sofort Skepsis breit.

Ich denke, als Analyst muss man dann besonders kritisch sein, wenn Ergebnisse besonders eindeutig sind. Jedes besonders eindeutige Ergebnis ist in der ersten Sekunde schön, vermittelt in der zweiten Sekunde aber schon das Gefühl, als wäre man Fälscher oder Betrüger, so wie jemand, der einem 90-Jährigen einen langfristigen Anlagevertrag überreicht, der noch dessen Erben belasten wird: Es ist nichts falsch daran, aber ist es auch richtig?

Selbst wenn die Ergebnisse richtig sind – ist das Offensichtliche nützlich? Wozu den ganzen Datenkram, wenn ohnehin auf der Hand liegt, was Sache ist, und wir auch nicht schlauer werden?

Solche Aussagen sind oft Ausdruck einer Zeitreise: Menschen versetzen sich mit den aus Daten gewonnenen Erkenntnissen in eine Zeit vor diesen Erkenntnissen zurück und vergessen, dass sie dieses Wissen einmal nicht hatten. Das bringt Datenanalysten immer wieder an den Punkt, an dem sie sich sehr unbeliebt machen müssen. Die in den meisten Fällen einzig angemessene Antwort auf Behauptungen wie „Das weiß ich schon lang!“ ist: „Warum handelst du dann nicht danach?“

Allerdings gibt es auch auf diese Frage eine valide Antwort. Gut aufgesetzte Datenprozesse und Analysen liefern zwar klare Ergebnisse, das sind aber noch lang keine Handlungsempfehlungen und sie sind schon gar nicht bindend. Das wäre eine Überschätzung und Überforderung von Daten, so wie auch Wissenschaft häufig überfordert und überstrapaziert wird. Wissenschaft kann konkrete Antworten auf konkrete wissenschaftliche Fragestellungen geben. Die Frage „Was soll ich tun?“ ist allerdings keine wissenschaftliche Fragestellung.

Diese Überstrapazierung durch falsche Erwartungen können wir gerade jetzt beobachten, wenn PolitikerInnen WissenschaftlerInnen ausrichten, sie hätten mit ihren Corona-Einschätzungen halt auch nicht immer recht gehabt.

Daten und Wissenschaft können nur dann Handlungsempfehlungen werden, wenn Fragestellung und Zweck ganz klar abgegrenzt sind. Dieses Zwecks müssen wir uns immer wieder versichern. Sonst darf man auch die eindeutigsten Datenergebnisse nicht ernst nehmen.